Unser innerer Wasserstoffkonflikt

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Stellt euch vor, es ist sonnig, es ist windig und es wird viel Strom produziert.

Was passiert jetzt, wenn wir diesen Strom nehmen – und durch Wasser durchschicken? Dann sprudelt‘s erstmal ein bisschen… Und was ihr hier seht, ist dass wir das Wasser in Sauerstoff (O2) und Wasserstoff (H2) aufspalten.

Und wenn wir diesen Wasserstoff jetzt einfangen… Dann haben wir Energie in einer Form in der Hand, mit der wir so ziemlich alles machen können! Wir können mit einer Brennstoffzelle später wieder Strom draus erzeugen (nutzen den Wasserstoff also einfach als Energiespeicher), wir können damit Fahrzeuge antreiben oder ihn chemisch weiterverarbeiten, um Flugzeuge, Schiffe usw. anzutreiben, wir können ihn für Industrieprozesse nutzen, oder ihn einfach verbrennen, um damit zu heizen.

Ein Energieträger. Um sie alle zu kn… zu betreiben.
Und dieser Energieträger wird in Zukunft ein superwichtiger Problemlöser – und ist gleichzeitig sehr gefährlich: Der ist gesellschaftlich riskant, könnte ernsthaften Klimaschutz noch weiter verzögern, und, was war noch? Ach so, und nebenher nochmal so nen neuen Kolonialismus anstoßen. Wie schön.
Lasst mich erklären:

Wobei, erklären ist zu einseitig – ich brauch eure Hilfe dabei, das Ganze einzuordnen. Ich hab’ nämlich nen inneren Konflikt bei diesem Thema. Und je mehr ich drüber nachdenke, desto mehr denke ich, dass wir da alle drinstecken. Das kann nicht nur so gehen, oder?

Also: Und bin Ingenieur für Energie- und Umwelttechnik und hab damit – logischerweise – von Natur aus eine große Begeisterung für Technologie. Klar. Ich meine, guckt euch mal Verbrennungsmotoren an. Abgefahren! Kernkraft… Super faszinierend!

Und doch gibt’s ja gute Gründe, warum wir diese Technologien in ihrer jetzigen Form hinter uns lassen.

Und ähnlich frag ich mich halt beim Wasserstoff: Rennen wir hier gerade, geblendet durch Technikoptimismus, in etwas rein, das wir eigentlich besser wissen sollten… Oder gewichte ich die Risiken einfach falsch?

Es gibt nämlich 3 Aspekte, von denen ich glaube, dass die uns in Zukunft gesellschaftlich echt herausfordern könnten. Aber andererseits, alles im Leben hat Vor- und Nachteile – Warum sollte das beim Wasserstoff anders sein? Ist doch okay…
Tja. Ist es das? Was meint ihr?

Aspekt #1

Starten wir mal ganz basic: Wasserstoff ist ein Energieträger, der alles kann. Aber meistens ist das ja so, wenn man irgendwie alles kann, dann kann man all das nicht besonders gut. Wo ist also der Haken?

Also sagen wir mal, wir haben ne bestimmte Menge Strom – das sind 100% – die wir nutzen, um Wasser aufzuspalten und daraus Wasserstoff zu gewinnen. Das nennt sich Elektrolyse. Dann geht dabei nicht die gesamte Energie in den Wasserstoff über, sondern wir verlieren auch etwas im Prozess [1]. Und ähnlich ist es, wenn wir den Wasserstoff jetzt speichern und transportieren: Denn auch diese Prozessschritte benötigen Energie. Und wollten wir mit diesem Wasserstoff jetzt heizen, auch dann verlieren wir noch ein bisschen, das nicht als Raumwärme nutzbar ist.
Am Ende bleibt in diesem Beispiel gerade mal knapp über 50% der Energie, die wir am Anfang reingesteckt haben.

Würden wir dagegen den gleichen Strom am Anfang nutzen, um eine (sogar nur mittelmäßige) Wärmepumpe anzutreiben, die diesen Strom ja nutzt, um die Wärme aus der Umgebungsluft oder aus dem Boden einzusammeln, dann könnten wir mit 300 oder mehr % unseres Primärenergieaufwands heizen.

Auch beim Auto gibt es einen deutlichen Unterschied:
Gehen wir den Weg über Wasserstoff als Kraftstoff, nutzen wir am Ende nur etwas über 30 % der Primärenergie, beim Batterieelektroauto dagegen über drei Viertel.

Und was das alles bedeutet, wird besonders klar, wenn man die Perspektive mal umdreht:

Um die gleiche Heizenergie zu bekommen, braucht man mit Wasserstoffheizungen nämlich über 5-mal so viel Strom aus Windenergie und Photovoltaik wie mit Wärmepumpen. Und um die gleichen Kilometer mit dem Auto zu fahren, braucht man zweieinhalb Mal so viel erneuerbare Primärenergie wie mit einfachen Elektroautos.

Und diese Primärenergie würde eben auch so viel mehr kosten und so viel mehr Umweltimpact haben. Das heißt: Wasserstoff als „Technologie“ ist sehr viel ineffizienter als viele Alternativen.

Ist Wasserstoff also schlecht? Naja, Wasserstoff ist sozusagen Generalist, weil er alles kann. Das ist erstmal gut. Bis zu dem Moment, wo er nem Spezialisten begegnet – der zwar sehr viel weniger kann, aber das dafür umso besser.

Das bedeutet: Wasserstoff ist da sinnvoll, wo andere Alternativen nicht wirklich mithalten können.

Das ist teilweise in der Industrie so und wo sonst noch richtig hohe Energiedichten gebraucht werden – z.B. als Flugzeugkraftstoff und in bestimmten Güterverkehrsbereichen. Da kann es trotz weiterer Energieverluste sogar lohnen, den Wasserstoff zu komplexeren Kraftstoffmolekülen weiterzuverarbeiten. Der Prozess nennt sich dann Power-to-X und damit macht man z.B. e-Fuels oder synthetisches Kerosin. Wo Wasserstoff außerdem infrage kommt, ist als Langzeitenergiespeicher, um daraus an ganz trüben Wintertagen wieder Strom zu erzeugen. Und dann nutzt man vielleicht auch die Abwärme daraus in Wärmenetzen.
Für Privatanwendungen dagegen, wird Wasserstoff in den meisten Fällen ziemlich uninteressant, weil er wegen seiner niedrigen Effizienz so viel teurer ist als viele Alternativen.

Es gibt also Anwendungen, die mit Wasserstoff möglich, aber selten sinnvoll sind – und andere, für die er superwichtig ist, weil es kaum realistische Alternativen gibt.


([2])

Wer allerdings Wasserstoff als Lösung für alles sieht, setzt damit deutlich mehr Windräder und Solaranlagen voraus. Und geht davon aus, dass wir alle bereit sind, sehr viel Geld für Energie auszugeben.
Obwohl? …

Das hier ist Methan. Das Hauptmolekül im Erdgas. Und Methan besteht aus einem Kohlenstoffatom und vier Wasserstoffen. Hmmm, Wasserstoff 😊

Man kann Wasserstoff also auch aus Erdgas oder LNG gewinnen. (LNG ist einfach verflüssigtes Erdgas ([3]).)
Und weil dabei hinterher der Kohlenstoff in Form von klimaschädlichem CO2 übrigbleibt, nennt sich dieser Wasserstoff grauer Wasserstoff. Man kann damit genau das gleich machen, aber er ist halt in der Herstellung klimaschädlich. Und bis auf wenige Ausnahmen ist das tatsächlich die Art von Wasserstoff, die bisher genutzt wird ([4]). Wenn man also heute Wasserstoff kauft, klingt der auf den ersten Blick sauber, ist es aber höchstwahrscheinlich nicht. Aber damit Wasserstoff aus Erdgas nicht ganz so problematisch wirkt, hat man sich noch ein paar andere bunte Farben überlegt ([5]):

Da gibt’s also neben grünem und grauem Wasserstoff z.B. auch noch blauen und türkisen – beide ebenfalls aus Erdgas, nur dass der übriggebliebene Kohlenstoff auf unterschiedliche Art wieder in den Boden zurückgesperrt wird. Oder gelben, pinken oder schwarzen Wasserstoff – die zwar ähnlich wie grüner Wasserstoff auch aus Wasser erzeugt werden, aber indem man dafür den normalen Strommix nutzt, oder Strom aus Kohle- oder Kernkraft.
Das hier (gelb, schwarz, pink) sind natürlich völlig absurde Konzepte – die auf mich manchmal so wirken, als würde man die verbreiten, damit die hier (blauer und türkiser Wasserstoff) im Vergleich nicht ganz so problematisch klingen, wie sie sind.

Aber warte mal – wenn das CO2 in diesen beiden Fällen ja nicht in die Atmosphäre gelangt, was macht blauen und türkisen Wasserstoff dann problematisch?

Aspekt #2

Wenn ihr Werbung für Wasserstoff seht oder e-Fuels oder andere synthetische Kraftstoffe, achtet mal drauf: Von wem kommt die? Und in wie vielen Fällen sind das Unternehmen oder Einrichtungen, die eigentlich von nem fossilen Geschäftsmodell profitieren?

Das ist so ein bisschen mein zweiter Punkt: Wasserstoff ist insbesondere interessant für Erdgas- und Mineralölgeschäftsmodelle. Denn es gibt den Unternehmen die Möglichkeit, beim gewohnten Geschäftsmodell zu bleiben und dabei fortschrittlich und grün zu wirken. Und damit in der Gesellschaft den Anschein zu wecken, wir könnten uns weiterverhalten wie bisher – müssten nur statt Erdgas oder Benzin dann eben Wasserstoff kaufen.

Die Sache ist halt, dass auf dem Weg tatsächlich sinnvolle und notwendige Veränderung weiter hinausgezögert werden. Dabei ist Zeit ist die wertvollste Ressource, die wir gegen die Klimakrise haben, und bisher verschwenden wir die maßlos. Und Wasserstoff ist für fossile Geschäftsmodelle eine Möglichkeit, noch ein bisschen mehr Zeit zu gewinnen.
Also für die so’n bisschen win win – für die restliche Gesellschaft nicht.

Und da frag ich mich: Ist das okay so, dass die, die uns die Situation mehr oder weniger überhaupt erst eingebrockt haben, davon auch noch profitieren?

Und da gibt’s natürlich keine naturwissenschaftliche Antwort drauf. Aber müssten wir als Gesellschaft da nicht ne Antwort drauf finden? Aber ich hab halt auch noch nie gesehen, dass das richtig diskutiert wird. Also, was meint ihr?

Gleichzeitig gibt es natürlich auch total gute und sinnvolle Wasserstoffprojekte, die wirklich klimaneutral sind! Es ist einfach so schwer von außen zu beurteilen, ob man‘s mit nem sinnvollen Projekt oder mit Greenwashing zu tun hat. Das Potenzial für Greenwashing ist bei Wasserstoff einfach richtig hoch.

Aber wisst ihr noch, als ich eben meinte, Wer Wasserstoff fordert, möchte deutlich mehr Windräder und Solaranlagen oder Erdgas? Das stimmt nicht unbedingt, denn es gibt noch ne weitere Option:

Aspekt #3

Was wäre denn, wenn wir das einfach andere machen lassen und den Wasserstoff nur importieren? Machen wir doch mit Steinkohle auch, und mit Erdöl.

Und tatsächlich, das ist auch so‘n bisschen der Plan: Das hier ist unsere nationale Wasserstoffstrategie – da steht drin, wie sich die Bundespolitik 2018 das mit dem Wasserstoff so vorgestellt hat ([6]).
Und die sagt, bis 2030 sehen wir nen Bedarf von so 90-110 TWh H2, und davon können wir so ~14 selber produzieren. Inzwischen geht man von etwas mehr aus [7] (Verdopplung der geplanten Kapazität von 5 GW auf 10 GW durch aktuelle Bundesregierung), aber der überwiegende Teil soll in Zukunft wohl importiert werden müssen.

Und das ist natürlich ganz praktisch, weil wir dann den Nachteil vom Wasserstoff – also die ineffiziente, aufwendige Vorkette – nicht so direkt vor der Nase haben. Und was wir nicht sehen, stört uns nicht so sehr. Nice!

Aber jetzt haben wir ja auch ein Gewissen und manchmal will man die Hintergründe ja dann noch kennen, also okay: Woher kommt der denn dann?

Aus Ländern, die viel Sonne oder viel Wind haben, und natürlich viel Wasser – das sind ja die Hauptzutaten.

Z.B. aus Kanada, Australien, Neuseeland [8], Chile, Costa Rica, Kasachstan, Madagaskar [9],
Südafrika, Marokko [10], Spanien, Ukraine, Brasilien, Saudi Arabien [11]
Namibia ([12]), und viele mehr.
(Hier zur Info zwei Links zu H2-Potenzialen in Afrika: https://africa.h2atlas.de/ecowas https://africa.h2atlas.de/sadc)

Da gibt’s also ein paar technologisch sehr entwickelte Länder, aber eben auch viele Länder des globalen Südens, von denen wir mal wieder was wollen.

Und das muss überhaupt nichts Schlimmes sein – oft sind internationale Märkte ja win-win-Situationen. Aber es kann halt…
So rein historisch gesehen gibt’s ja einige Beispiele, in denen westliche Länder gern Ressourcen aus anderen Teilen der Welt wollten und sich die genommen haben – und das für die Menschen vor Ort „nicht so gut ausgegangen ist“.

Und wenn wir jetzt den überwiegenden Teil unseres Wasserstoffs möglichst günstig importieren wollen… Dann besteht halt ein Risiko, dass ein neuer internationaler Wasserstoffmarkt auch so neokolonialistische Züge entwickeln könnte [13], und zur Ausbeutung ärmerer Länder führt.

Und darum frage ich mich: Wie könnten wir denn sicherstellen, dass, wenn wir schon Wasserstoff importieren, dass das dann möglichst fair läuft?

Also, dass

  • Wir keine Ressourcen woanders beanspruchen, die dort auch gebraucht werden?
    Also die Energie und das Wasser müssen vor Ort im Überfluss vorhanden sein. Die Länder müssen ihre eigene Energiewende ja auch hinkriegen.
  • Dann die Frage, wie man die Leute für deren Fläche, die großen Anlagen und die Umweltimpacts an den Gewinnen und den Unternehmen beteiligt? (Damit meine ich übrigens nicht, dass die Unternehmen europäisch sein sollten, sondern dass wir als europäische Konsumenten durch unser Konsumverhalten, aber auch durch politische Rahmenbedingungen (Lieferketten usw.) darauf bestehen sollten, dass die Menschen, denen die durch uns genutzten Ressourcen eigentlich zustehen, entsprechend an den lokalen Unternehmen beteiligt werden.)
  • Und wie können wir hier sicherstellen, dass die Leute vor Ort auch lokale Arbeitsplätze dadurch erhalten? Und zwar auch die High-Tech-Plätze, für die man sonst gern Leute aus Europa einfliegt, wodurch viel Wertschöpfung doch wieder nicht im Land bleibt…

Also, welche ganz konkreten Mechanismen brauchen wir, um zu garantieren, dass das wirklich ein Handel auf Augenhöhe wird.
(Behauptet wir das mit der Augenhöhe eh. Das ist einfach. Aber wie können wir das sicherstellen?)

Das sind Fragen, von denen ich mir denke, dass wir die beantworten können müssen. Und zwar nicht nur in irgendwelchen Forschungsprojekten, sondern in der breiten Gesellschaft. Aus meiner Sicht müssten alle Leute, die Wasserstoff auf diesem Weg wollen, dazu auch was Fundiertes sagen können.

Aber wieviel H2 brauchen wir denn wirklich?

Aber lasst uns nochmal zurückkommen auf unseren Wasserstoffbedarf. Denn die Zahlen, die ich eben genannt hab, kommen von der Politik – sollte man also mit Vorsicht genießen – und beziehen die sich auf 2030. Lasst uns mal schauen, was die Fachwelt so für die lange Sicht sagt:

Wenn man sich so die größeren Studien anguckt, die beschreiben, wie eine klimaneutrale Energieversorgung in Zukunft (2045/2050) so aussehen könnte [14], dann finden sich darin verschiedene Szenarien mit unterschiedlich hohen Wasserstoffbedarfen. Manche gehen in Richtung 1.000 TWh pro Jahr, andere um die 400, ein Szenario liegt unter 250 [15].

Sehr unterschiedlich ist außerdem, woher der Wasserstoff kommt und in welcher Form wir den nutzen:

Das hier (dunkelblau) ist vor Ort in Deutschland hergestellter Wasserstoff, dann die aus lokalem Wasserstoff erzeugten synthetischen Kraftstoffen und anderen Folgeprodukten (dunkelgrün) – also e-fuels und andere Power-to-X-Produkte. Und alles danach sind Importe: importierter Wasserstoff (hellblau) und importierte PtX-Produkte (hellgrün).

Also auf den ersten Blick schon mal ne ganze Menge Import und ne ganze Menge weiterverarbeiteter Wasserstoff – also der mit den zusätzlichen Energieverlusten. Und was meint ihr, wieviel Strom wird denn wohl gebraucht, um diese Mengen dieser Produkte überhaupt nur zu erzeugen?

Da kommen wir auf jährlich zwischen so 370 bis über 1.700 TWh Strom aus erneuerbaren Energien [16] – nur für Wasserstoff…
Zum Vergleich: Unser heutiger Stromverbrauch, ganz ohne Wasserstoff daraus zu erzeugen, liegt bei knapp unter 500 TWh [17] pro Jahr.

Und all das zeige ich euch aus nem einfachen Grund: (Ich glaube, für mich ist das der Hauptpunkt dieses Videos – Wenn ihr euch nur eine Sache aus diesem Beitrag merkt, dann bitte da, was jetzt kommt:)

Das (also die Szenarien) sind keine Prognosen, sondern Projektionen. Klingt vielleicht ähnlich, ist aber ein ganz wichtiger Unterschied! Die sagen nämlich nicht, dass das in Zukunft wahrscheinlich soundso wird, sondern, die gucken sich an, „wie könnten wir denn in Zukunft wohl so leben?“ (ohne zu stark zu bewerten, wie wahrscheinlich das ist) – Das sind also die verschiedenen Szenarien – Und, mal angenommen, es wird tatsächlich so, wie viel Wasserstoff bräuchten wir dann?

Und seht ihr, warum ich das so betone?

Das heißt nämlich, die Wahrheit / die Realität in Zukunft liegt nicht unbedingt in der Mitte, im Durchschnitt der ganzen Szenarien, sondern die Wahrheit liegt da, wo wir uns gesellschaftlich entscheiden, dass sie liegen soll – vorausgesetzt, wir handeln auch danach.

Wenn wir uns gesellschaftlich sagen, wir wollen in Zukunft auf eine ähnliche Art leben wie heute,  „Wir wollen wieder Autos, mit denen wir an die Tankstelle fahren, das war doch geil früher.“ Oder wir wollen „Gasheizungen, in denen wir eben Wasserstoff statt Erdgas verbrennen – Geld spielt ja keine Rolle“, dann wird der Bedarf halt eher hoch sein, mit allem, was an Folgen und Nebenwirkungen dazugehört.

Wir könnten aber auch sagen, uns ist bewusst, welchen Wert diese Energieform eigentlich hat, und welcher Aufwand dahintersteckt, und zu dem Schluss kommen, dass wir mit der Primärenergie aus Windkraft und Solar möglichst effizient umgehen wollen. Und sie eben da einsetzen, wo es keine richtigen Alternativen gibt.

Der Punkt ist, wir sollten uns gesellschaftlich bewusst sein, welche Vor- und Nachteile, und welche Chancen und Risiken mit Wasserstoff einhergehen, finde ich.

Und darum mache ich jetzt mal nen Versuch, das Ganze einzuordnen, und ihr sagt mir, wo ihr zustimmt und wo nicht:

Stärken
Wasserstoff ist unglaublich vielseitig, wir können damit große Mengen Energie lange speichern, und Überschussstrom sinnvoll nutzen, wenn alle anderen Speicher schon voll sind.

Schwächen
Die Haken sind, dass die Energieverluste entlang der Prozesskette einfach super hoch sind, was Wasserstoff viel teurer macht, als den Strom direkt zu nutzen und viel mehr erneuerbare Primärenergie voraussetzt, mit all ihren Impacts. Und dass dafür eine sehr aufwendige Infrastruktur notwendig ist.

Chancen
Dafür ist es aber sozusagen das fehlende Puzzlestück: wir können damit die letzten, die schwierigen Prozente der Energiewende abdecken (Industrie, Schiffsgüterverkehr) und unsere Versorgungssicherheit weiter steigern. Theoretisch könnten wir sogar mal wieder Technologieführer in ner Zukunftsbranche werden, nachdem wir PV und Windkraft direkt wieder abgegeben haben.

Risiken
Wir riskieren nur dabei, Erdgas- und Mineralölgeschäftsmodelle künstlich zu verlängern; die Energiewende könnte sehr viel teurer werden, wenn wir Wasserstoff in Bereichen einsetzen, in denen es effizientere Alternativen gibt, und wir wären je nach Szenario ziemlich importabhängig – mit den damit verbunden Risiken was die Ausbeutung anderer Länder angeht.

Das wäre also meine Einschätzung zum Thema, aber jetzt ich bin einfach gespannt auf eure:

  • In welchen Bereichen haltet ihr Wasserstoff für sinnvoll?
  • Wie seht ihr das mit den verlängerten Erdgasgeschäftsmodellen?
  • Und unter welchen Voraussetzungen wäre Import von Wasserstoff okay?

Bleibt sachlich, bleibt konstruktiv, aber solange das der Fall ist, gern auch kritisch, wenn ihr es ganz anders seht als ich.

Quellen & Literatur


[1] Die Wirkungsgrade in dieser verallgemeinerten Übersicht sind plausible, gerundete Annahmen. Hier sind einige Quellen, aus denen konkretere Wirkungsgrade für verschiedene Szenarien hervorgehen:

[2] nach Liebreich Associates [2021]: Hydrogen: The Ladder (Concept: Adrian Hiel/Energy Cities)

[3] NDR [2023]: LNG: Fakten zu Flüssigerdgas und Projekten in Norddeutschland

[4] Mirko Kruse, Jan Wedemeier (/Wirtschaftsdienst) [2021]: Potenzial grüner Wasserstoff: langer Weg der Entwicklung, kurze Zeit bis zur Umsetzung (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)

[5] Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) [2021]: Wasserstoff im Klimaschutz:
Klasse statt Masse

[6] Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) [2020]: Nationale Wasserstoffstrategie

[7] Tagesschau [26.07.2023]: Regierung verdoppelt Ziel für Wasserstoffproduktion (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)

[8] Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) [2023]: Welche Projekte für die internationale Wasserstoff-Kooperationen fördert das BMBF?

[9] Florian Ausfelder, Dinh Du Tran et al. [2023]: Optionen für ein nachhaltiges Energiesystem mit Power-to-X-Technologien (4. Roadmap des Kopernikus-Projektes P2X Phase II)

[10] Prof. Dr. Franziska Müller (/via Niklas Keller) [2022]: Aus welchen Ländern sollen wir Wasserstoff importieren? (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)

[11] Staiß, F. et al. [2022]: Optionen für den Import grünen Wasserstoffs nach Deutschland bis zum Jahr 2030: Transportwege – Länderbewertungen –
Realisierungserfordernisse (Schriftenreihe Energiesysteme der Zukunft)

[12] Heiner Hoffmann, Tommy Trenchard (/Spiegel) [2023]: Hier soll grüner Wasserstoff in gigantischem Ausmaß produziert werden (zuletzt abgerufen am 04.08.2023)

[13] Tobias Kalt und Franziska Müller (Universität Hamburg) [2021]: Zwischen Technikeuphorie und grünem Kolonialismus. Die Wasserstoffstrategie der Bundesregierun ignoriert entwicklungspolitische und sozialökologische Risiken

[14] Hier die einzelnen Studien:

[15] Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) [2021]: Wasserstoff im Klimaschutz:
Klasse statt Masse

(ergänzt um die konkreten Zahlen des Diagramms auf S. 12 per Mail)

[16] Eigene Rechnung, auf Basis der SRU-Angaben [15] (Studienszenarien und Erzeugungswirkungsgrade H2 / PtX)

[17] Bundesnetzagentur [2023]: Daten zum Strommarkt 2022

 

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