Warum Holz doch (nicht) klimaneutral ist

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Sagt mal, ob ihr das auch merkwürdig findet:
Wenn wir Kohle verbrennen, entsteht CO2. Kohle ist also klimaschädlich.
Wenn wir Erdgas oder Heizöl verbrennen, entsteht CO2. Die sind also ebenfalls klimaschädlich.
Wenn wir Holz verbrennen, entsteht auch CO2. Aber mit Holz zu heizen soll klimaneutral sein? Warum?
Und warum ist das sowohl richtig als auch falsch?

Diese Frage wirkt ja so einfach, ne? Also ist das jetzt klimaneutral oder nicht?

Die Antwort dagegen hat mehrere Schichten…
Ich würde euch diese Frage gern in 4 Schwierigkeitsgraden beantworten. Wir starten bei einfach und enden bei richtig, sozusagen. Bzw. nein, wir werden der Sache dabei Stück für Stück gerechter. Um am Ende hoffentlich den vermeintlichen Widerspruch hoffentlich sogar aufzulösen.

Level 1

So ein Baum lebt und wächst ja, indem er Photosynthese betreibt und mit Sonnenlicht aus CO2 und Wasser erstmal einfache Zucker bastelt, von denen er manche aufisst und aus anderen Baumaterialien macht – für Stamm, Wurzeln und Äste. Und der Hauptbaustoff in diesen Materialien ist der Kohlenstoff aus dem CO2 aus der Luft.
Abgefahren, oder? Dass ein Großteil dieser Masse aus der Luft kommt, nicht aus dem Boden…

Und wenn jetzt so ein Baum verbrannt wird, dann wird genau dieser Kohlenstoff wieder zu CO2 freigesetzt. Und zwar zu dem CO2, das der Baum vorher aus der Luft genommen hat. Und darum, heißt es oft, ist das Verbrennen von Holz klimaneutral – Denn aus Sicht der Atmosphäre ist der Zustand vor dem Baum nämlich gleich dem Zustand nachher, also neutral.

Aber warte mal…

Wenn es das schon wäre… Könnten wir ja eigentlich jetzt jeden Baum auf der Welt verbrennen. Zustand vorher = Zustand nachher, hieß es ja! Aber ihr merkt schon, auch wenn die erste Erklärung nicht ganz falsch ist, von richtig sind wir noch ein Stück entfernt. Denn würden wir jetzt alles anzünden, klar, dann verändern wir die Atmosphäre ja doch… Weil ganz viel CO2 auf einmal frei wird (und wir dabei blöderweise genau die natürlichen CO2-Aufsaugemaschinen verbrennen, die diesen schlagartigen Anstieg auf Dauer wieder ausgleichen könnten). Gut, ganz so einfach ist es also offensichtlich nicht. Aber wo ist der Fehler?

Level 2

Wenn wir nur Vorher – Nachher anschauen, vernachlässigen wir die Zeit, in der der Baum lebt. Und wächst. Und C einspeichert. Jedes Jahr ein bisschen. Und so hält der Baum im Laufe der Zeit immer mehr CO2 aus der Atmosphäre raus.

Und da Bäume ja nicht bloß ein Jahr, sondern teilweise mehrere Hundert Jahre leben, ist diese Zeit auch aus Klimasicht schon relevant.

Wenn wir den Baum dagegen dann verbrennen, passiert das viel schneller! Der verbrennt ja quasi auf einmal, anstatt über Jahrzehnte langsam zu verrotten.

Und darum heißt es oft, dass das Verbrennen von Holz eben nicht klimaneutral ist. Kann ja gar nicht – Denn wir verändern die Atmosphäre ja doch.

Also besser doch keine Bäume fällen, was?

Naja, kommt drauf an:

— Level 3 —

Die Welt besteht ja nicht aus einem einzelnen Baum, sondern aus vielen vielen Milliarden.

Stellt euch also mal einen Wald vor, in dem jedes Jahr ein neuer Baum wächst. Und erst wenn dieser Wald pro Jahr insgesamt so viel CO2 aufnimmt, wie umgerechnet in einem „erwachsenen“ Baum drinsteckt, erst dann wird auch einer geerntet und verbrannt – aber eben auch einer nachgepflanzt. Wenn wir dieses Prinzip weiterdenken, dann können wir jedes Jahr einen rausgenommenen Baum als tatsächlich klimaneutral werten.

Aber…
Versteht das bitte mit Vorsicht. Denn um dieses vereinfachte rechnerische Beispiel in die echte Welt zu übersetzen, gehören noch ganz andere Dinge dazu:

Soll das auf Dauer funktionieren, muss der Wald gesund und widerstandsfähig sein. Und das hat mit viel, viel mehr zu tun als allein mit Kohlenstoff. Der Wald sollte zum Beispiel ne bestimmte Mindestgröße haben. Und mehrere Baumarten, darunter auch einige ältere Bäume. Außerdem andere Pflanzenarten, Pilze natürlich, Insekten, Mikroorganismen, der braucht Nährstoffe und nen intakten Wasserhaushalt.
Das heißt: Ein Wald funktioniert nicht, wenn er nur aus Bäumen besteht. Und was für uns vielleicht sogar ein bisschen ironisch scheint: Für nen lebendigen Wald ist es superwichtig, dass auch totes Holz da drinnen bleibt! Und zwar nicht bloß kleine Äste und Zweige, die bei der Ernte direkt abgetrennt werden, sondern z.B. ganze tote Bäume und auch dicke Stämme und Äste, die zum Lebensraum für viele Pilze und Tiere werden und im Boden Kohlenstoff und Wasser speichern.

Und das bedeutet, man kann in der echten Welt nicht einfach jeden Baum aus dem Wald rausnehmen, den man aus einer reinen „Klimaneutralitätsperspektive“ rechnerisch rausnehmen könnte.
Trotzdem: bei entsprechender Bewirtschaftung kann man gewisse Mengen an Holz schon als klimaneutral werten. (Ja, ich weiß, ich vernachlässige hier die fossile Vorkette, die genaugenommen noch dazugehört: Ernte, Verarbeitung, Transport usw.
Die ignoriere ich in diesem Video bewusst, weil sie sich einerseits im Laufe der Zeit verkleinert und andererseits, weil sie verglichen mit den direkten Emissionen so klein ist, dass sie von der Hauptaussage des Videos ablenken würde.)

Und in Deutschland hatten wir, was das angeht, tatsächlich eine positive Tendenz: Zwischen 1990 und 2017 ist bei recht gleichbleibender Fläche [1] der Kohlenstoffvorrat im Wald deutlich gestiegen [2], – unser Wald hat sich also sozusagen verdichtet, obwohl Holz entnommen und genutzt wurde – was gut ist. Für andere Länder ist das dagegen nicht so pauschal sagen – bei importiertem Holz sollte man also schon genauer hinschauen.
Aber auch bei uns ging diese Tendenz nicht für immer: Mit 2018 fing ja eine mehrjährige Dürreperiode an, die viele Wälder massiv geschwächt hat. 300.000 ha [3] Waldfläche haben wir in der Zeit verloren, etwa 5% aller Waldbäume [4]. Die sind entweder vertrocknet oder durch Stürme umgeworfen worden, oder sie hatten zu wenig Wasser, um sich mit Harz gegen Schädlinge zu wehren. Also riesige Mengen, die aus Ökosystemperspektive quasi von heute auf morgen weg waren.
Und auch dem restlichen Wald geht’s nicht gerade gut: 35% der Bäume haben einen deutlichen Blattverlust in der Baumkrone und gerade mal jeder 5. Baum hat in der Hinsicht keine Schäden [5].

Das heißt: Viele unserer Waldflächen haben auch ne ganze Menge Erholungsbedarf.

Außerdem wird Holz ja auch als Baumaterial und für Möbel gebraucht (die, nebenbei gesagt, den Kohlenstoff auch noch länger weiterspeichern). Mit Holz zu heizen kann also zu Nutzungskonkurrenzen führen. Denn die Nachfrage nach Holz steigt, das Angebot aber nicht [6].

Wenn wir also mit Holz heizen, dann am ehesten dort, wo andere klimaneutrale Alternativen sich schwertun. (Bspw. Wärmenetze in Ortskernen mit historischen Gebäuden. Ja, auch hier sind oft Wärmepumpen möglich, aber sie sind nicht mehr die offensichtlich bessere Lösung.)

Aber euch wird wahrscheinlich aufgefallen sein, dass das erst die Dritte von vier Perspektiven war. Was kann denn da noch kommen? Ein Missverständnis kann da noch kommen:

— Level 4 —

So in unserem Alltag ist Klimaneutralität oft das Beste, das wir erreichen können. Dass wir als Menschen mal irgendwo keinen Schaden anrichten, ist halt schon ungewohnt gut. Darum hat „Klimaneutralität“ für uns eine positive Wertung. Das Missverständnis entsteht, wenn wir diese Wertung auf den Wald übertragen. Denn hier ist Klimaneutralität nicht gut, sondern wirklich im Sinne des Wortes einfach nur neutral. Das bedeutet ja schließlich bloß, dass sich die CO2-Mengen am Ende ausgleichen können. Dabei hat Wald ja aber das Potenzial, seine CO2-Bilanz nicht nur auszugleichen, sondern für ne Zeit sogar mehr CO2 aufzunehmen!

Würden wir den Wald naturnäher bewirtschaften, mehr Totholz drinlassen, die Bäume etwas älter werden lassen, bevor wir sie ernten, dann könnte der Wald nämlich erstmal mehr CO2 aus der Atmosphäre ziehen und fixieren. Und auch dafür brauchen wir ihn! Wir haben richtigen Klimaschutz ja sogar so lange vertrödelt, dass es inzwischen nicht mehr reicht, unsere CO2-Emissionen zu reduzieren, sondern wir werden sogar gezielt wieder CO2 aus der Luft nehmen müssen[7], um auf Dauer das 1,5°C-Limit nicht zu reißen (das unter anderem dafür wichtig ist, den Wald einigermaßen stabil zu halten).

Das heißt, wir haben jetzt ne Situation, in der der Bedarf an Holzprodukten steigt, gleichzeitig der Klimawandel und die schwindende Biodiversität an der Waldstabilität nagen und(!) der Wald auch noch mehr CO2 aufnehmen und binden soll. Der Wald ist also ziemlich unter Druck, könnte man sagen.

Und darum stellt sich ja auch die Frage, wie wir eigentlich priorisieren. Welcher dieser Leistungen ist denn am wichtigsten? Für welche haben wir bessere Alternativen? Und vor dem Hintergrund, dass wir Wärme auch auf andere Arten klimafreundlich erzeugen können, gibt’s mit Blick auf Brennholz starke Argumente zu sagen: Wenn das Restholz ist, Sägespäne, oder sagen wir mal, vorher lange stofflich genutzt wurde, z.B. als Bauholz, okay. Aber wertiges Frischholz zu verbrennen? Mag zwar klimaneutral möglich sein, ist aber meist trotzdem keine gute Idee.

Und darum – obwohl bestimmte Mengen klimaneutral wären – sollte mit Blick auf Wald und Holz die Klimaneutralität vielleicht gar nicht der Maßstab sein. Denn damit nutzen wir den Wald unter Wert. Der kann viel Wichtigeres für uns tun als bloß plumpes Brennholz zu liefern. Das Ziel unserer Wälder sollte viel eher „Klimanegativität“ sein – also im positiven Sinne. Er würde uns ja helfen – aber wir dazu müssen ihn helfen lassen.


Quellen & Literatur

[1] Statista [2023]: Anteil der Waldfläche in Deutschland in den Jahren von 2008 bis 2022 (zuletzt abgerufen am 12.10.2023)

[2] Johann Heinrich von Thünen-Institut [2019]: Wälder in Deutschland sind eine
wichtige Kohlenstoffsenke
(zuletzt abgerufen am 12.10.2023)

[3] Klimareporter.de/Joachim Wille [2018]: Wald in Not – Nach dem Dürresommer
(zuletzt abgerufen am 13.10.2023)

[4] Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) [2022]: Sorge um den deutschen Wald – Satellitendaten machen großflächige Verluste des Baumbestands sichtbar

[5] Johann Heinrich von Thünen-Institut [2023]: Ergebnisse der bundesweiten Waldzustandserhebung (Browserapp)

[6] Beck-O’Brien, M., Egenolf, V., Winter, S., Zahnen, J., Griesshammer, N. [2022]: Alles aus Holz – Rohstoff der Zukunft oder kommende Krise; Ansätze zu einer ausgewogenen Bioökonomie. WWF Deutschland.

[7] Intergovernmental Panel on Climate Change (Weltklimarat) [2018]: Special Report: Global Warming of 1.5 ºC – Summary for Policymakers

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